Sauerstoff?


    Kolumne von Dr. med. Voja Lazic


     

    Liebe Leserinnen und Leser

    (Bild: zVg)

    Die Corona Zahlen explodieren, die Gesellschaft ist aktuell mit der Situation schlichtweg überfordert und den Politikern fällt die undankbare Aufgabe zu, den Spagat zwischen dem Schutz des Einzelnen und dem gesamtwirtschaftlichen Überleben der Nation zu bewältigen. Es hat aber so viele Unbekannten, dass dies fast ein Ding der Unmöglichkeit ist. Für Aussenstehende ist es einfach, die Massnahmen zu kritisieren, insbesondere wenn man nur einen Teilaspekt einsehen kann und nur seine eigenen Interessen berücksichtigt. Dann kann es jeder besser als «die da oben». Wenn es aber darum geht, die Verantwortung für allfällige Konsequenzen zu übernehmen, dann verstecken sich die meisten. Wer will denn dafür gerade stehen, wenn ein Familienvater an Corona stirbt, andererseits sind ganze Existenzen bedroht, wenn die Wirtschaft nicht in Gang kommt… Da kommt noch einiges auf uns zu.

    Im Gegensatz dazu ist es fast etwas belustigend zu sehen, wieviel über die Notwendigkeit der Maskenpflicht diskutiert wurde – ganze Fernsehsendungen lang. Und wie viele Meinungen existieren, die bar jeglicher medizinischer Grundkenntnisse sind, dafür aber umso lauter kundgetan werden. Schlussendlich erweckt es den Anschein, dass nur nach Gründen gesucht wird, das eigene Verhalten zu rechtfertigen. Damit man bloss keinen Schritt aus der eigenen Komfortzone heraus tätigen muss. Ich habe schon Argumente gehört, dass man zu wenig Sauerstoff bekommt, wenn man die Maske trägt (übrigens von Mitgliedern des Nationalrats wohlgemerkt) und dass man sich dann nicht konzentrieren könne – das würde also heissen, dass die absolut heiklen und technisch wie auch intellektuell anspruchsvollsten Operationen auf dieser Welt von Chirurgen durchgeführt werden, welche zu wenig Sauerstoff bekommen und deren Hirnleistung dadurch gemindert ist. Stellen Sie sich vor, was denn wissenschaftlich abgehen würde, wenn diese Leute «richtig» denken könnten. Wir wären schon auf dem Mars, oder?

    Es gibt aber auch Leute, die behaupten, dass sie unter der Maske nicht atmen können. Ja, das ist ein ganz grosses Problem. Es sind ellenlange Sterbelisten bekannt, von Chirurgen, die an der Maske erstickt sind… Sorry, aber die angeführten Argumente sind im Grunde nicht nur leeres sondern auch noch dummes Geschwätz.

    Wir Chirurgen tragen seit Jahrzehnten Masken und leben ganz gut damit. Es geht sogar so weit, dass wir, wenn wir erkältet sind oder Husten haben, zwei Masken übereinander tragen!! Ohne Probleme!

    Schon nur erfahrungsgemäss ist bereits der Nachweis erbracht worden, dass die Masken zur Keimreduktion in der Aus­atmungsluft beitragen. Es ist nur eine Sache der Gewöhnung, und in der heutigen Zeit insbesondere auch der Bereitschaft, sich halt einen Fetzen Stoff vor das Gesicht zu binden. Eine so verblüffend einfache und doch effektive Massnahme. Ebenso verhält es sich doch, wenn man bei Regen die Kapuze hochschlägt. Man hat ein etwas eingeschränktes Gesichtsfeld, dafür wird man nicht nass – Ziel erreicht. Und wenn man etwas wirklich anschauen will, so muss man den Kopf halt ein wenig drehen.

    Ob durch das Tragen der Masken die Ausbreitung des Virus ganz verhindert werden kann, muss ich offen lassen. Aber es ist mit Sicherheit ein guter Beitrag in diese Richtung.

    Noch eine Anmerkung dazu, dass «man das Gesicht ja nicht erkennen kann»: Wenn wir als junge Chirurgen etwas nicht richtig gemacht hatten und der Chef im Operationssaal ausgerastet ist…Wir konnten trotz Maske jede auch noch so diskrete Gesichtsregung unmissverständlich erkennen, glauben Sie mir!

    Ebenso ist es aus meiner Sicht höchst fragwürdig, ob der Föderalismus in Sachen Epidemiebekämpfung wirklich Sinn macht. Der Virus hält sich nicht zwingend an unsere Gesetze oder Kantonsgrenzen, sondern folgt dem natürlichen Ausbreitungsverlauf, auf den wir nur bedingt Einfluss nehmen können – aber wenigstens so viel. Was und wieviel auf Dauer all unsere Massnahmen bringen werden, kann heute niemand abschätzen. Aus der Wissenschaft haben wir jedoch gewisse Kenntnisse und wieso sollen wir uns nicht zumindest diese zunutze machen.

    Ich möchte noch einmal kurz auf die Politiker zurückkehren, die ich oben erwähnt habe. Solche Leute sehen sich als Vertreter der Bevölkerung und sind, wie beängstigend, noch überzeugt von dem Unsinn und der Inkompetenz, die sie verbreiten. So hervorragend die Demokratie als politische Form auch ist, so sehr kann sie versagen, wenn eine Herausforderung zu deren Bewältigung Wissen anstatt Meinungen erfordert. Letztere manifestieren sich in der aktuellen Situation leider immer mehr und dies führt zu Desinformation, zur falschen Meinungsbildung und Verunsicherung bei der Bevölkerung.

    Leider haben wir es auch im Gesundheitswesen nur zu häufig eben mit Politikern und Entscheidungsträgern zu tun, deren medizinisches- und offenbar auch volkswirtschaftliches Grundwissen nicht fundierter ist, als das derjenigen, die zu wenig Sauerstoff hinter der Maske bekommen. Es kann somit auch nicht weiter verwundern, dass unsere Krankenkassenkosten fortwährend steigen, wenn sich solche Leute in Fachgebiete einmischen, von denen sie beängstigend wenig Ahnung haben. Und wir zahlen alle als Prämienzahler dafür, Sie auch!

    Angebote seitens der Ärzteschaft zur Verbesserung oder gar Lösungsvorschläge verlaufen im Sand, weil die Leute, mit denen verhandelt werden müsste, meist in einer guten sozialen Position sind. Ich musste feststellen, dass denen die Sicherung der eigenen Position und «der ruhigen Kugel, die sie schieben», weit wichtiger ist. Die Ärzte als Advokaten der Patienten werden gar nicht als solche wahrgenommen. Zu sehr werden sie kriminalisiert und zu den Sündenböcken der Kostenexplosion hinaufstilisiert. Sensationen, hervorgerufen durch unethisches Verhalten Einzelner, sind natürlich journalistisch viel besser zu verkaufen, da es tatsächlich jeden von uns treffen kann. Gerade die Belegärzte, die höchste Qualität und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut bringen müssen oder die bis zum Aussterben «tarifgekürzten» Hausärzte vertreten die Bedürfnisse der Bevölkerung. Die Bemühungen genau derer, die sich für ihre Patienten (sprich Bevölkerung) einsetzten, wollen und sollen nicht erkannt werden und werden effekthascherisch bewusst in den Hintergrund gedrängt.

    Geschätzte Leserinnen und Leser. Bei Fragen lesen Sie bitte den Artikel noch einmal oder wenden Sie sich….wohl eher an Ihren Arzt!

    Und vergessen Sie nicht, Ihre Hände zur desinfizieren.

    Dr. med. Voja Lazic,
    Präsident VABP,
    Vorstandsmitglied SBV/ASMI

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